(Mein Textbeitrag anlässlich der Lesung “Winterzeit. … kein Winter unseres Missvergnügens…” am 30. November 07 im Nodbach-Atelier)
Es begann mit dem Namen: „Winterzeit“
Rudi, Andreas und ich einigen uns auf den Titel der heutigen Veranstaltung – keine Gegenstimme! Auch Günter schreibt in seinem Mail, dass er sich schon mit möglichen Texten für die Lesung zum Thema “Winterzeit” beschäftige und dabei eine richtige Freude entwickle.
Angesichts der einhelligen Zustimmung beginne ich mich zu fragen, ob nicht vielmehr der Titel uns gefunden hat?
Ob wir mit diesem unspektakulären Wort – unbewusst – ins Schwarze getroffen haben – ins kollektive Schwarze sozusagen? In die verborgenen Tiefen unseres inneren Paralleluniversums, aufgeweckt durch mysteriöse Geheimcodes, die den Schläfer in uns wecken.
„Winterzeit“
Seit diesem Tag der Namensfindung geistern – mal gewollt und herbeigerufen, mal plötzlich wie aus dem Nichts auftauchend – Gedanken aus allen Richtungen durch meinen Kopf.
„Winterzeit“
Ich dachte mir sofort, dass es nicht zielführend sein kann, mit einer journalistischen Taktik an das Thema heranzugehen. Da war innerlich etwas, ein Gefühl, eine Ahnung – die immer mehr zur Gewissheit wurde: das ist ein Wort, das sich der objektiven Recherche entzieht. Viel zu emotional besetzt, viel zu viel Unbewusstes liegt in dem Wort, viele Möglichkeiten – je nach Aussprache:
„Winterzeit“
Ich bin kein Meteorologe, sachlich, mathematisch und statistisch dem entsprechenden saisonalen Zeitfenster begegnend. Ganz im Gegenteil: wenn die Wettervorhersage für morgen Schneefall prognostiziert, dann ist das alles andere als eine sachliche Information für mich. Schnee, weich, weiß, unschuldig, geborgen und – ich weiß, es klingt absurd: „warm!“
Warum gefallener Schnee in mir ein Wärmegefühl auslöst, mag ein erfahrener Psychologe analysieren. Fast hätte ich nun gesagt: „Ich will nur der Genießer der winterlichen Pracht sein!“ – aber das „nur“ scheint mir hier ganz fehl am Platz. Genuss ist ein winterliches Vergnügen, dachte ich.
„Winterzeit – Genuss-Zeit“
Persönlich assoziiere ich damit hauptsächlich die Zeit vor Weihnachten. Das hat wohl mit einer undefinierbaren Erwartungshaltung zu tun, an der sicherlich auch meine tief-katholische Kindheit schuld ist. Wenn man überhaupt praktischerweise jemand anderen die Schuld für die eigene Entwicklung zuschieben wollte.
Der Advent (lat.: adventus, Ankunft, bzw. advenit: er kommt) ist also die seit dem 7. Jahrhundert verkündete Ankunft des Erlösers. Dieses grandiose Versprechen – wer möchte nicht von allem erdenklichen Unheil erlöst werden? Ich will auf jeden Fall dabei sein! und was nicht hilft, schadet nichts, oder? – dieses grandiose Versprechen also muss ganz tief in meinem Unterbewusstsein schlummern, sonst wäre diese unlogische Verquickung mit im Grunde genommen sehr sachlich-logischen Begrifflichkeiten nicht so einschlagend unsachlich, oder?
Was meine Kindheitserinnerungen betrifft – auch die Folgejahre blieben davor nicht verschont – bin ich nicht sicher, ob nicht die Adventzeit, als Zeit der Versprechungen und Verheißungen, das einschneidendere Erlebnis war als der Ankunftstag selbst. Wie meist die Vorfreude auf ein Ereignis das größere Erlebnis ist, als das Ereignis selbst, dachte ich. Sicher, als Kind hast du den Heiligen Abend herbeigesehnt, wegen der Geschenke, auch, klar! Zugegeben, ein ziemlich eigennütziges Gefühl, das aber trotzdem immer mit einer inneren Gewissheit einherging, an etwas Großem, Unbeschreiblichen teil zu haben.
Der Zauber des Advent eben!
Mit wunderbaren Begleiterscheinungen: die Adventsonntage. Ruhige Tage, überschaubar und abzählbar, Adventkranz und Adventkalender.
Das Bedürfnis nach Ruhe und Stille liegt in der Luft, auch wenn es draußen nach Schnee riecht. Die Stille im Schnee hat etwas Mystisches und sollte unbedingt ausreichend zelebriert werden. Ein mitternächtlicher Spaziergang in knirschendem Schnee ist ein kontemplatives Highlight mit mehr energetischem Schub als jedes Amphetamin und jeder esoterische Workshop.
„Winterzeit – Ruhige Zeit“
Ich vermute, dass die Winterzeit – wie keine andere Zeit – eine Zeit der Emotionen und damit gleichzeitig auch die Zeit der stärksten Unterdrückung von Emotionen ist. Man gibt sich „cool“. Warum und weshalb, oder wer ist auf diesen Schwachsinn gekommen? Kein Mensch weiß das.
„Winterzeit – Zeit der Emotion“
Keine Frage, natürlich habe ich auch mit Rudi das kleine „Winterzeit“-Brainstorming gemacht. Es wurde zum verbalen Ping-Pong zwischen uns, wir haben uns die Worte zugespielt: Nebel, Licht, Geborgenheit, Gemütlichkeit, Wärme, Kerzen, Maroni, Ofenkartoffel, Holz, Wald, Rehe, Schnee, Eisblumen – die Liste war schier endlos. Zwei Romantiker uferten aus!
„ES“ brach aus!
Rudi sagt, er will wieder lange Haare haben „weil’s dann wärmer ist..“ O.K., auch ein Winterzeit-Zeichen, die Winterzeit-Frisur. Er hat heute mit seinem Flohmarkt-Thermometer schon den ganzen Atelierraum ausgelotet, „wo es am wärmsten ist“.
Am Fußboden hat es um 2 Grad weniger als auf dem Tisch.
„Auf der Decke ist es sicher total heiß“.
Wie gut, dass wir grad nicht da oben hängen, dachte ich.
„Was ich jetzt brauchen könnte, wär’ so ein Hemmingway-Ventilator, du weißt schon, was ich meine, einen sogenannten Wärmeverteiler“.
Ludmilla kümmert das nicht, sie liegt mit heißem Fell in ihrem Hundekorb direkt vor dem Ofen. Sie ist der einzige Hund den ich kenne, der die Hitze genießen kann – und manchmal kann man die Ateliertemperatur wirklich nicht mit Wärme beschreiben, das wäre in höchstem Maße untertrieben– ein „Winterzeit-Hund“ (auch im Sommer!) mit dem besten Gespür für die gemütlichsten Plätze. Nebenbei natürlich der kunstbeflissenste Hund mit viel Vernissagenerfahrung und Wissen über die Geheimnisse der künstlerischen Arbeit. Manchmal, wenn sie mich ansieht, neige ich dazu, ihr höchste Intelligenz zuzuschreiben und habe eine innere Ahnung, dass sie nicht jedem Argument, das bei Gesprächen im Atelier auftaucht, wohlwollend gegenübersteht. Ich weigere mich, diesen Blick als ständige Aufforderung zum Füttern und Streicheln anzusehen.
Lutsch, ich glaube an deine Intelligenz! Und ich weiß, du freust dich über den Winter.
„Winterzeit – Hundekälte? – Hundewärme!!!“
Das Holz knistert, wir schreiben. Ö1 läuft im Hintergrund. „Der Winter ist eine typische Ö1-Zeit“, hat Rudi unlängst behauptet. Ich habe ihm zugestimmt.
„Winterzeit“ – Radiozeit, dachte ich.
Es läuft „Musik aus allen Richtungen“. Heute liegt Nebel aus allen Richtungen, dachte ich.
Der Nebel ist ein großartiger Architekt, geht mir durch den Sinn. Er schafft Räume. Mobile Nebelräume, die sich mit dir mitbewegen, als eine mobile Intimität, die der Sommer nicht kennt. Im Nebel ist dein Raum abgegrenzt und doch flexibel, dachte ich.
Nebelräume – Denkräume.
Frischer Wind weht ins Atelier, Vera kommt hereingeschneit.
„Winterzeit – Besuchszeit“, denke ich.
Irgendwann frage ich Vera, was sie mit den Worten „Winter“ und „Advent“ verbindet.
„Na, nur jo net!“
„Hhhmmm???“
„Diese aufgesetzte Melancholie!“
Vera geht pragmatisch an die Sache heran. Scheint, ich habe sie „kalt erwischt“, sozusagen.
„Na ja, es hat schon was Eigenartiges“.
Aha, wir kommen der Sache schon näher, dachte ich.
„Ich mag das ‚zur Ruhe kommen’ und
„da ist diese Bedürfnis nach Einheizen“
Hhhmmm, na ja, es ist kalt, denke ich logisch und mit wenig Emotion.
Aber nun sprudelt die Emotion aus Vera:
„Räuchern, Kerzen anzünden, Kastanien, Kekse, gemütlich machen, ‚mi Hinhaun’, lesen, ….“
Die winterliche Gemütlichkeit hat Veras Gedanken mollig umhüllt.
Ich kenne das, da gibt’s kein Entrinnen! Das ist wie ein Sog, der ganz unschuldig mit einem kleinen Wort beginnt und dich unweigerlich hineinzieht.
„Es ist früher finster“, meint Vera und spricht es in einem warmen Ton aus, der mir eine Ahnung lässt, wohin ihre Gedanken gehen – und meine sind in diesem Moment auf dem selben Weg. Eine Symphonie der Gedanken. Und plötzlich steigert sich diese Symphonie zum Finale, zum absoluten Höhepunkt:
„Nebelklause und Dufträume!“ strömt es aus Vera und ich stimme erstaunt und begeistert dem Ergebnis dieser verbalen und emotionalen Metamorphose zu.
Whow! Vera! Merci beaucoup!
Das sind zwei absolut qualitative ergänzende Codes, geeignet, uns vom aufoktruierten Weihnachtskommerz zu befreien und uns ankommen zu lassen!
Auf dass nicht nur ER, sondern auch wir bei uns ankommen!
oder – wie ein unbekanntes Sprichwort sagt:
„Auch wenn man kein heller Kopf ist: in der Adventszeit geht einem ein Licht nach dem anderen auf.“
Was ich mir für uns alle zu diesem Zweck als ideale Operationsbasis vorstellen kann sind „Nebelklausen & Dufträume!“